Rainer Hohberg
Hörspiele · Kinderbücher · Bücher zur Thüringer Kulturgeschichte · Märchen und Sagen
Aktuelles
Neuerscheinung Im TAUCHAER VERLAG ist im Rainer Hohbergs fünftes Märchenbuch erschienen: Die Räuberbraut - Märchen aus Thüringen Die Illustrationen wurden von der Erfurter Grafikerin Susanne Spannaus geschaffen. Lies, was Jens Kirsten darüber schreibt: www.literaturland-thueringen.de/art[...] Und hier die Rezension von Ralf Julke in der Leipziger Zeitung: acrobat.adobe.com/id/urn:aaid:sc:EU[...]
Thüringer Burgen sagenhaft Anläßlich des Thüringer Burgenjahres bereitet der TAUCHAER VERLAG eine Neuausgabe von Hohbergs Buch vor, illustriert von Ruth G. Mossner.
Mythos Mohr Am 18. Oktober 2024 hielt Rainer Hohberg im ausverkauften Rathaussaal der Stadt Eisenberg einen Vortrag über die Entstehung und Hintergründe der Sage um den Eisenberger Mohrenbrunnen.
Geheimnisvolles aus der Thüringer Sagenwelt Hohbergs Buch ist 2024 im TAUCHAER VERLAG in einer neugestalteten Nachauflage erschienen.
Thüringer des Monats: Nicht zuletzt für seine erfolgreiche Arbeit zur Rettung des Neuen Jagdschlosses Hummelshain wurde Rainer Hohberg am 22. August 2023 vom MDR und der Thüringer Ehrenamtsstiftung mit diesem Titel geehrt
Friedrich-Christian-Lesser-Preis 2022 Am 30. Oktober 2022 wurde der von Rainer Hohberg geleitete Förderverein Schloss Hummelshain e.V. mit dem Friedrich-Christian-Lesser-Preis für hervorragende Arbeit auf dem Gebiet der Regionalgeschichte ausgezeichnet.
Kulturnadel des Freistaats Thüringen Am 13. September 2022 erhielt Rainer Hohberg für sein vielseitiges kulturelles Engagement gemeinsam mit neun weiteren Kuturschaffenden im Erfurter Kaisersaal von Staatssekretärin Tina Beer mit der Kulturnadel des Freistaats Thüringen.
Thüringer Märchenbuch in Vorbereitung 2021 hatte Rainer Hohberg für sein Volksmärchen-Projekt „Versunkene Schätze“ ein Stipendium der Kulturstifung des Freistaats Thüringen erhalten. 2024 soll das Buch unter dem Titel „Die Räuberbraut - Märchen aus Thüringen“ im Tauchaer Verlag erscheinen. Es wird derzeit von der Erfurter Künstlerin Susanne Spannaus illustriert.
Neue Auflage des Schlösser-Buches erschienen Im renommierten Würzburger Kunstverlag Schnell & Steiner ist die 2. Auflage des umfangreichen Bandes „Die Hummelshainer Schlösser und die Jagdanlage Rieseneck.Geschichte und Gegenwart im Thüringer Residenzdorf Hummelshain“ von Claudia und Rainer Hohberg erschienen. Die 1. Auflage kam 2021 auf den Markt und war rasch vergriffen.
Vom Wilden Jäger im Wisentatal Hörpspielpremiere bei den 23. Thüringer Literaturtagen: Die „Wilde Jagd“ tobt auch über den Himmel von Thüringen und lehrt Müller, Mägde und Hirten das Fürchten. Rainer Hohberg hat eine spannende Sage aus dem Wisentaland als Hörspiel bearbeitet. Produktion: Kay Kalytta. Sprecher: Axel Thielmann. Anhören: soundcloud.com/user-174368518/horsp[...]
„Haunted – Seelen ohne Frieden“ Unlängst wirkte Rainer Hohberg in einer neuen Folge der deutsche Mystery-Doku-Serie (Odeon Entertainment München) als Sagenexperte mit.
ZDF-History drehte Filmbeitrag mit Rainer Hohberg zur Sage vom eingemauertern Kind an verschiedenen Thüringer Schauplätzen: Hier das Video www.zdf.de/dokumentation/zdf-histor[...]
Lies, was Katrin Braun im OTZ-Feuilleton über Hohbergs
neues Buch „Gespenstisches aus der Thüringer Sagenwelt“ schreibt.
Luther für Kinder stellt Rainer Hohberg in seinem Hörbuch „Ratzekahl packt aus“ in zehn spannenden Geschichten vor.Zu dem vom Weimarer Label TMMD aufwändig und liebevoll produzierten Hörbuch gehört ein umfangreiches Booklet, das mit Texten und Comic-Zeichnungen Hintergrundwissen über Luther und seine Zeit vermittelt.
Sagenüberlieferung und regionale Identität.... Eine Zusammenfassung von R. Hohbergs Festvortrag zur Jahresversammlung des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins Hohenleuben „Sagenüberlieferungen als prägende Faktoren lokaler und regionaler Identität in Thüringen“ finden Sie HIER.
Den gesamten Text unter Presse
Kalender 2023/24
Datum | Ereignis |
---|---|
18.03.25 | Grundschule Münchenbernsdorf |
29.04. | Grundschule Gräfenroda |
14.05. | Stadtbibliothek Zella-Mehlis |
20.11. | Stadtbibliothek Lobenstein |
13.01.24 | Stadtbibliothek Neustadt/Orla |
30.04.24 | Stadtbibliothek Zella-Mehlis |
11.05.24 | Neues Schloss Hummelshain |
25.05.24 | Neues Schloss Hummelshain |
15.06.24 | Neues Schloss Hummelshain |
13.07.24 | Neues Schloss Hummelshain |
27.07.24 | Neues Schloss Hummelshain |
25.09.24 | Pinsenberghalle Krölpa |
07.10.24 | Stadtbibliothek Saalfeld |
18.10.24 | Rathaussaal Eisenberg |
22.10.24 | Grundschule Am Stollen Ilmenau |
24.10.24 | Stadtbibliothek Friedrichroda |
29.10.24 | Stadtbibliothek Lobenstein |
07.11.24 | Stadtbibliothek Zella-Mehlis |
24.11.24 | Teehaus Altes Schloss Hummelshain |
17.12.24 | Jenaplanschule 3 Erfurt |
Beiträge von Hohberg
Mythos Mohr. Wie kam der schwarze Mann nach Eisenberg?
Nach meinem am 18.Oktober 2024 im Rathaussaal Eisenberg gehaltenen Votrag
Seit dem 2019 kreierten „Mohrenfest“ in der Kreisstadt des Thüringer Saale-Holzland-Kreises gibt es viel Streit und Aufregung um ihn, den Eisenberger Mohren. Zumeist wird die Kritik an der sagenumwobenen Brunnenfigur auf dem Marktplatz festgemacht, dem Namenspatron des Festes. Von Kritikern wurden Begriffe wie Kolonialismus und Rassismus ins Spiel gebracht; der Vorwurf einer diskriminierenden und herabwürdigenden Darstellung eines schwarzen Menschen steht im Raum. Unbeachtet bleibt dabei zumeist die sagenhafte Überlieferung, die sich um die Figur rankt, die weit über die Stadt hinaus bekannte Eisenberger Mohrensage. So heißt es in der kürzlich erschienenen Schrift „Die Eisenberger Brunnenfigur“ von Dr. Gero Fehtke, in der die Geschichte des Brunnens fundiert dargestellt wird, dazu nur lapidar: „Diese Sage, ihre Vorläufer und Varianten können hier nicht näher betrachtet werden.“ Schade! Mitunter scheint es, dass akademische Kritiker um die volkstümliche Sagenüberlieferung - aus welchen Gründen auch immer - gern einen Bogen machen. Die meisten Eisenberger hingegen sind mit der Sage von Kindesbeinen an aufgewachsen. Welche Gefühle und Gedanken sie mit dem Mohren verbinden, ist maßgeblich durch die ebenso dramatische wie emotionale Schilderung des Schicksals der historischen Sagengestalt geprägt. Liegt darin vielleicht eine der Ursachen, weshalb der in anderen Zusammenhängen mit Recht kritisierte vielschichtige Begriff des Mohren in Eisenberg weitgehend positiv konnotiert ist und weshalb sich Kritiker und Befürworter diesbezüglich so unversöhnlich und verständnislos gegenüberstehen?
In diesem Beitrag, der meinem am 18. Oktober 2024 im Eisenberger Rathaussaal gehaltenen Vortrag folgt, möchte ich die Sage genauer beleuchten, freilich ohne alle damit verbundenen Fragen vollständig und endgültig klären zu können. Ich werde darstellen, dass die Eisenberger Mohrensage in ihrer heute bekannten Form zwar erst im 19. Jahrhundert entstanden ist, jedoch historische Wurzeln hat, die weit ins Mittelalter reichen und die von größter Bedeutung für den heutigen Umgang mit dem Wahrzeichen sind. Deshalb habe ich meinen sagenkundlichen Ausführungen einen historischen Überblick zur Entstehung und zu den historischen Hintergründen des Mohrenbildes in Eisenberg vorangestellt.
Der Mohr auf Wappen, Siegeln und als Brunnenfigur
Der Mohr mit Stirn- bzw. Augenbinde ist das besondere Kennzeichen des Eisenberger Stadtwappens. Das war nicht immer so. Die ersten Darstellungen auf den mittelalterlichen Siegeln der Stadt zeigen lediglich eine Zinnenmauer mit Rundbogentor, hinter der sich drei Türme erheben. Erst im 16. Jahrhundert kommt zu den Türmen und Mauern eine Neuerung hinzu: der Männerkopf mit „negroidem Profil“. Aus derselben Zeit stammt das farbige Wappen mit Mohrenkopf über dem Portal des Rathauses, entstanden 1579. Stadtgeschichtlich war es eine Zeit, in der das vormals eher arme Eisenberg zu gewissen Wohlstand gekommen war, der mit einer kulturellen Blüte des Gemeinwesens einherging, wie man in Wolfgang Warsitzkas vorzüglichem Buch „Bürger unter Mohrenwappen“ nachlesen kann.
Fast anderthalb Jahrhunderte später dann, 1727, entstand zwischen Rathaus und dem Ende des Steinwegs eine kunstvolle Brunnenanlage mit Pferdeschwemme, für die der Bildhauer Johann Schellenberg im Auftrag der Stadt aus einem Stück groben Sandsteins die imposante, lebensgroße Mohrenfigur nach Vorbildern aus Renaissance und Barock schuf, die von Anfang an für Einheimische wie Fremde ein besonderer Hingucker gewesen sein dürfte. 1780 erhielt sie ihre erste Farbfassung. 1842 wurde der Brunnen im Zuge der Umgestaltung des Marktes saniert und erhielt seinen heutigen Standort. Die nun fast 300 Jahre alte Brunnenfigur wurde zum weithin bekannten Wahrzeichen der Stadt, um die sich im Laufe der Zeit auch Sagen zu ranken begannen.
Ein Blick über die Stadtgrenzen
Wie kam der Mohr nach Eisenberg? Was steckt dahinter? Dass man den Wappenmohr zumeist als Symbol für die „Tapferkeit der alten Eisenberger“ gesehen hat, ist richtig, reicht als Erklärung aber nicht aus. Symbole der Tapferkeit gibt es auch andere. Und was macht ausgerechnet das Mohrenbild zu einem solchen Symbol? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, lohnt sich ein Blick in andere Regionen mit ähnlicher Tradition. Mohrenbrunnen und Mohrenwappen begegnen uns in zahlreichen europäischen Regionen. Berühmte Wasserspender dieser Art sind der Mohrenbrunnen im schweizerischen Schaffhausen von 1520 und die Fontana del Moro in Rom, deren namensgebende Figur 1655 geschaffen wurde. Mohrendarstellungen auf Wappen und Bauwerken gibt es in Hülle und Fülle. Charakteristische Beispiele für enge „Verwandte“ des Eisenberger Mohren sind etwa die im Stadtwappen von Zwickau, von Coburg, von Neuhofen in Österreich, im Wappen des verstorbenen „bayrischen Papstes“ Benedikt XVI. oder dem Wappen von Korsika. Aus einem anderen Grund hochinteressant ist die Darstellung des Mohren am sogenannten Schwarzhäupterhaus im lettischen Riga, die ich vor einigen Jahren bestaunte. Das mittelalterliche Gebäude heißt eigentlich „Haus der Großen Gilde“ und war der Sitz einer Kaufmannsbruderschaft. Auf der prächtigen Fassade entdeckt man rechts oben ein Wappen mit dem Kopf einer schwarzen Person mit der bekannten Augenbinde, unten rechts neben der Tür eine lebensgroße Mohrengestalt in ritterlichem Gewand, welcher der Muttergottes mit dem Jesuskind unmittelbar gegenübersteht. Der Mohr, der „schwarze Mann“, steht hier also auf einer Ebene mit dem Allerheiligsten.
Um vergleichen zu können, müssen wir uns aber nicht bis nach Riga begeben. Schon ein Blick ins früher wie Eisenberg wettinische Coburg ermöglicht interessante Vergleiche. Auch hier ist der legendäre Mohr allgegenwärtig: als Standbild am Rathaus und in der Stadtkirche, auf dem städtischen Wappen und sogar auf den Kanaldeckeln. Aber in Coburg ist die Frage, woher dieses Wahrzeichen kommt, kein großes Rätsel. Denn die Hauptkirche der Stadt ist dem heiligen Mauritius geweiht, einem Heiligen, der traditionell als Schwarzer dargestellt wird. Mauritius gilt als der Schutzheilige von Coburg, weshalb hier Einigkeit darüber besteht, dass der Mohr in all seinen lokalen Variationen eine Verkörperung dieses Heiligen ist. Das gilt ebenso für die Darstellungen am Rigaer Schwarzhäupterhaus und für eine Vielzahl weiterer Mohrenbilder auf europäischen Wappen, Siegeln und Brunnen, sofern sie nicht den Dunkelhäutigen der heiligen drei Könige darstellen. Da liegt es auf der Hand, der Frage nachzugehen, ob nicht auch unser Eisenberg Mohr von in diesem Kontext betrachtet werden sollte, ob nicht auch er ein - in historischer und kultureller Hinsicht – „Verwandter“ des schwarzen Heiligen sein könnte, eine „Metamorphose des heiligen Mauritius“
Mauritius – wer ist das eigentlich? Dass viele Menschen hierzulande mit diesem Namen kaum etwas anfangen können, ist nicht verwunderlich. Wir leben in einer Region, die stark durch Luther und die Reformation geprägt ist. Und im Zuge der Reformation wurde mit der Confessio Augustana 1530 die Heiligenverehrung und der damit verbundenen Reliquienkult bekanntlich abgeschafft. Viele der Heiligen selbst gerieten bei uns schlicht in Vergessenheit. Auch der heilige Mauritius.
Der Legende nach war er ein römischer Offizier und lebte um das Jahr 300. Er war Kommandant der Thebäischen Legion, deren dunkelhäutige Soldaten aus Theben in Ägypten stammten. Eines Tages schickte der römische Kaiser Mauritius und seine Soldaten ins gallische Agaunum (heute St. Moritz in der Schweiz), um dort eine Revolte gallischer Christen niederzuschlagen. Doch Mauritius und seine Soldaten waren selbst bereits Christen. Deshalb weigerten sie sich, verweigerten also den Befehl. In seinem Zorn drohte der Kaiser, die gesamte Legion töten zu lassen. Und so geschah es schließlich auch! Der Kommandeur Mauritius und seine Soldaten wurden grausam hingerichtet. Aber die frühen Christen in Gallien hüteten sein Grab, bauten eine Kirche darüber und verehrten ihn als Märtyrer. Durch die nun einsetzende Wallfahrt nach Agaunum/St. Moritz verbreiteten sich der Kult um diesen Heiligen in Europa. Er wurde zu einem der am meisten verehrten Heiligen, zum Schutzpatron der Soldaten und einer ganzen Reihe von Handwerksberufen - und zum Lieblingsheiligen der deutschen Kaiser des Mittelalters sowie zum Reichspatron. Er wird bis heute als ein Mann verehrt, „der mit seinem Leben für die gerechte Sache eintrat und sich schützend vor Wehrlose und Verfolgte stellte“.
Mauritius in Eisenberg?
Aber wie könnten der schwarze Heilige und sein Bild zu uns nach Mitteldeutschland, in unsere Region gelangt sein? Und wie nach Eisenberg? Es mag überraschend klingen, dass das wichtigste Zentrum der Verehrung des Heiligen im Hochmittelalter nicht etwa in Ägypten, in Italien oder in der Schweiz lag, sondern kaum 150 km von Eisenberg entfernt. Es war die Stadt Magdeburg unter dem römisch-deutschen Kaiser Otto dem Großen, der mit der Gründung des Erzbistums Magdeburg im Jahr 968 entscheidende Voraussetzung für die weitere Verbreitung des Christentums schuf. Otto gilt als der erste bedeutende Verehrer des schwarzen Heiligen; auch seine Nachfolger ließen sich am Mauritiusaltar im römischen Petersdom zum Kaiser krönen.
In dieser Tradition der Mauritiusverehrung entstand damals in Magdeburg eine einzigartige Sandsteinskulptur. Das in Fragmenten erhaltene Original befindet sich im dortigen Dom St. Mauritius, eine moderne Rekonstruktion im benachbarten Dommuseum. Es ist die früheste Darstellung eines dunkelhäutigen Heiligen in Europa und die „älteste Darstellung eines Afrikaners nördlich der Alpen“ – Vorbild für die meisten späteren Darstellungen. Was mich an der Figur besonders fasziniert: Der schwarze Heilige wird als edler Mensch, als Ritter dargestellt. Lediglich durch seine Hautfarbe unterscheidet er sich von anderen, weißen Heiligen. Dieses Bild und diese Botschaft fanden damals weit über das Erzbistum Magdeburg hinaus Verbreitung, insbesondere im Raum zwischen Elbe und Oder, aber auch bis ins Baltikum und nach Skandinavien. In Thüringen erinnern daran zahlreiche Kirchen, die seither dem schwarzen Heiligen geweiht sind, z.B. in Erfurt, Arnstadt, Bad Sulza, Niedergrunstedt, Münchenbernsdorf und Frauenprießnitz. Die Kunsthistorikerin Guda Suckale-Redlefsen hat den Kern des Verbreitungsgebietes der Mauritiusverehrung in einer Karte erfasst. Eisenberg ist nicht namentlich erwähnt, liegt aber eindeutig darin. Wie Wilfried Warsitzka schreibt, gehörte Eisenberg in dieser Zeit unmittelbar zum Bistum Magdeburg-Zeitz, dessen Schutzheiliger eben der heilige Mauritius war. „Mauritius war bis zur Reformation der Diözesanschutzheilige unseres Gebietes.“ So ist die Vermutung im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend, dass die von Magdeburg ausgehende mittelalterliche Tradition der Mauritiusverehrung auch die Entstehung des Eisenberger Mohren in seinen unterschiedlichen Ausprägungen als Wappenbild und Brunnenfigur, als Sagengestalt und Wahrzeichen in religiöser, kultureller und ikonographischer Hinsicht inspiriert haben könnte. Natürlich nicht in dem Sinne, dass der Eisenberger Mohr und Mauritius identisch wären. Aber von dem schwarzen Heiligen, wie er in Magdeburg in Erscheinung tritt, sind dafür möglicherweise entscheidende Impulse ausgegangen.
Wie oben erwähnt, spielt das Bild des Mohren in Eisenberg nachweislich seitdem 16. Jahrhundert eine bedeutende Rolle. Was könnte Stadtväter und Bürger damals veranlasst haben, ausgerechnet dieses Symbol in ihr Wappen aufzunehmen? Eine weniger bekannte Eisenberger Sage berichtet von einer Verschwörung gegen Markgraf Dietrich den Bedrängten. Ein Mohr, den er von einem Kreuzzug mitgebracht hatte, habe ihm vor einem auf der Eisenberg Burg geplanten Mordanschlag gewarnt und damit sein Leben gerettet. Zum Dank habe der Markgraf daraufhin das Bild des Mohren in sein Wappen aufgenommen und dies auch den Eisenbergern gestattet. Einen solchen Anschlag auf den Markgrafen hat es im Jahre 1216 tatsächlich gegeben. Wie Wilfried Warsitzka dazu treffend anmerkt, findet sich jedoch weder im Wappen des Markgrafen noch im Eisenberger Wappen jener Zeit ein Mohrenkopf; der tritt erst mehr als 300 Jahre später in Erscheinung. Eine plausible Erklärung liefert diese Sage also nicht. Wilfried Warsitzka erwähnt weitere Hypothesen, so die, nach der sich der Mohrenkopf aus dem im Meißnischen Wappen als Helmzier dargestellten Judenkopf entwickelt haben könnte, oder jene, dass er auf einer irrtümlichen Übernahme des Männerkopfs im spätmittelalterlichen Siegel der Wettiner beruhen könnte. Überzeugende Erklärungen sind auch das nicht. Um die konkreten Umstände für die Aufnahme des Mohrenbildes in die Eisenberger Wappen und Siegel im 16. Jahrhundert besser zu verstehen, bietet sich wiederum ein vergleichender Blick nach Coburg an, wo diese Vorgänge genauer untersucht worden sind.
Mitte des 14. Jahrhunderts waren Land und Stadt Coburg in den Herrschaftsbereich der Wettiner gelangt, die ihre Herrschergewalt zunächst jedoch nicht voll durchsetzen konnten. Das nutzte die bürgerliche Oberschicht der Stadt zu einer wesentlichen Erweiterung ihrer Machtposition aus, indem sie eine eigene Ratsverfassung etablierte. Äußerer Ausdruck dessen war, dass die Coburger Münzmeister auf ihren Münzen neben dem Meißner Löwen, dem offiziellen Wappenbild, auf der Rückseite fortan den Kopf des heiligen Mauritius einprägten, des Patrons der von der Bürgerschaft errichteten Pfarrkirche. „Die Übernahme des ‚Stadtheiligen‘ als zweites bürgerliches Stadtsymbol ist als originärer Ausdruck des kommunalen Selbstbewusstseins gegenüber dem Landesherren zu interpretieren.“ Dem folgten weitere Schritte wie die Einführung des Mohrenkopfsiegels im 16. Jahrhundert, die Anbringung einer repräsentativen Steinfigur des Mohren in Ritterrüstung am Rathaus um 1580 usw. Das Mohrenwappen am Eisenberger Rathaus entstand übrigens 1579, also nahezu zeitgleich! Die Vorgänge in Coburg sind ein Beispiel für den Bedeutungswandel des Bildes vom heiligen Mohren vom hohen Mittelalter bis zur Neuzeit. Zunächst - zusammen mit der heiligen Lanze - ein kaiserliches, dann auch bischöfliches Machtsymbol, übernehmen es in der der Folgezeit die aufstrebenden Städte. Auf städtischen Wappen, Siegeln und Münzen gilt es als Ausdruck von kommunalem Selbstbewusstsein und zunehmender politischer Unabhängigkeit. „Das Heiligenbildnis entwickelte sich… zu einem bürgerlich-städtischen Symbol“ , zu einem „säkulären Hoheitszeichen“.
Ohne die relevanten Unterschiede in der Stadtentwicklung von Eisenberg und Coburg zu ignorieren, kann eine vergleichende Betrachtung dabei helfen, die Eisenberger Vorgänge besser zu verstehen. Wenngleich konkrete Forschungen dazu noch fehlen, liegt die Vermutung nahe, dass die Aufnahme des Mohrenbildes in die Siegel und Wappen auch hier als Ausdruck des gewachsenen kommunalen Selbstbewusstseins der Stadt und ihrer Bürger im 16. Jahrhundert gesehen werden kann. Das führte in der Folgezeit zur Etablierung des Eisenberger Mohren als allgemeines Stadtwahrzeichen und zur Entstehung der populären Sagengestalt führte. Wie oben dargelegt, geschah dies vor dem Hintergrund einer in unserem Raum ursprünglich stark ausgeprägten Verehrung des heiligen Mauritius als Diözesanschutzheiligen. Obwohl dieser Zusammenhang im Gefolge der Reformation allmählich verblasste und schließlich wohl in Vergessenheit geriet, steht die Eisenberger Tradition historisch fraglos im Kontext dieses bedeutenden Heiligen. Der Eisenberg Mohr ist keine unmittelbare Verkörperung des Mauritius, hat aber offensichtlich ein Quäntchen von dessen positiver Aura abbekommen. So ist es nicht verwunderlich, das den lokalen Darstellungen und Überlieferungen keine Tendenz zur Herabwürdigung von Menschen dunkler Hautfarbe innewohnt, sondern sie vielmehr von jahrhundertelanger Verehrung zeugen. Das prägt auch die Eisenberger Mohrensage und die Sagengestalt des Mohren, deren Geschichte wir uns nun zuwenden wollen.
Die wichtigsten Versionen der Eisenberg Mohrensage
Jacob und Wilhelm Grimm haben die Sage im „Deutschen Wörterbuch“ definiert als „kunde von ereignissen der vergangenheit, welche einer historischen beglaubigung entbehrt“. Man versteht darunter heute eine „kurze Erzählung von fantastischen, die Wirklichkeit übersteigenden Ereignissen“ . Sagen basieren auf mündlicher Überlieferung, die Ursprünge ihrer Entstehung „im Volk“ sind in der Regel unbekannt. Erst durch die schriftliche Fixierung, die im 19. Jahrhundert im großen Stil vor allem durch Lehrer, Pfarrer und andere gebildete Sammler erfolgte und oft mit einer inhaltlichen und sprachlichen Bearbeitung einherging, wird sie greifbar. Bevor wir der möglichen Entstehung der Mohrensage „im Volksmund“ nachgehen, soll der Weg ihrer schriftlichen Fixierung kurz skizziert werden. Welche Spuren finden sich etwa in den gedruckten Eisenberger Chroniken und anderen zeitgenössischen Veröffentlichungen?
In der 1758 erschienenen „Eisenbergischen Stadt- und Land-Chronika“ von Johann David Gschwend taucht zumindest der Begriff des Mohren auf. Der Verfasser spricht von einem „zerstümmelten Mohren mit Augenbinde“ als Bestandteil des Wappens. Das Bild gehe auf einen Grafen Johannes von Eisenberg zurück, der sich im Kampf gegen die Hunnen im Jahr 933 durch besondere Tapferkeit ausgezeichnet habe, wobei die Farbe Schwarz für dessen Tapferkeit und Standhaftigkeit stehe, heißt es in der Chronik. Vom „treuen Mohr“ als handelnder Person ist noch nicht die Rede. Mitte des 18. Jahrhunderts scheint die Eisenberger Mohrensage noch nicht bekannt oder zumindest nicht erwähnenswert gewesen zu sein.
Ein knappes Jahrhundert später sieht das bereits anders aus. Eine Vorläuferversion der Sage, die damals in Eisenberg erzählt wurde, fand 1843 Eingang in August Leberecht Backs „Chronik der Stadt und des Amtes Eisenberg“ und durch ihre Veröffentlichung 1861 in „Sachsengrün. Culturgeschichtliche Zeitschrift aus sämmtlichen Landen Sächsischen Stammes“ , bereits überregionale Aufmerksamkeit. Demnach wurde einst ein Mohr, der ein treuer Diener eines Eisenberger Grafen war, des „verbotenen Umgangs“ mit der Gemahlin des Grafen bezichtigt und zum Tode verurteilt. Der Vorwurf erwies sich natürlich als falsch, und die Hinrichtung konnte im letzten Augenblick verhindert werden. Zur „Wiederherstellung seiner geschändeten Ehre“ soll der Graf das Bild des Mohren in sein Wappen aufgenommen haben.
Die heute populäre Version der Sage geht auf das Buch „Holzlandsagen“ des Eisenberger Sagensammlers Kurt Gress aus dem Jahre 1870 zurück. Neben Sagen aus Kahla, Stadtroda und Orlamünde enthält das Werk 27 Sagen aus Eisenberg und Umgebung. Gress betont im Vorwort, dass es sein Anliegen gewesen sei, die gesammelten Sagen „getreulich so wiederzuerzählen, wie sich dieselben im Volke erhalten haben“. Unter dem Titel „Der Mohr im Stadtwappen und das Stadtwahrzeichen von Eisenberg“ steht die Mohrensage an exponierter Stelle am Anfang des Buches. Kern der von Kurt Gress sehr breit erzählten Geschichte ist folgender: Ein Graf von Eisenberg hatte sich während der Kreuzzüge aus dem Heiligen Land einen Mohren mitgebracht. Dieser diente ihm viele Jahre ehrlich und treu. Doch eines Tages geriet er unter einen schlimmen Verdacht: Die Gräfin vermisste eine kostbare Halskette; nur der Mohr konnte sie entwendet haben. Er wurde streng verhört, und obwohl er unter vielen Tränen seine Unschuld beteuerte, verurteilte man ihn zum Tode. Die Gräfin, der die Worte des Dieners nicht aus dem Kopf gingen, wollte darüber schier verzweifeln. Um Ruhe zu finden, griff sie nach ihrem Gebetbuch. Wie sie nun den schweren Folianten aufschlug, funkelte etwas zwischen den Blättern und fiel ihr zu Füßen. Das vermisste Kleinod! Entsetzt dachte sie daran, dass der Henker sein grausiges Werk vielleicht schon verrichtete. Doch im letzten Augenblick gelang es ihr, die Hinrichtung zu verhindern. Um die Ehre seines Mohren wiederherzustellen, schenkte ihm der Graf daraufhin die Freiheit und nahm dessen Bild in sein Siegel und Wappen auf. Die Kopfbinde sollte daran erinnern, dass er schon mit verbundenen Augen vor dem Henker gestanden hatte. Zur ewigen Erinnerung daran ließen die Stadtväter über dem ältesten Brunnen ein Standbild des treuen Mohren errichten, das zum Wahrzeichen Eisenbergs wurde.
Ein unbekannter Eisenberger
Über den Verfasser der „Holzlandsagen“ ist leider nur wenig bekannt. Er wurde am 20. November 1848 in Eisenberg geboren. Sein Vater ist vermutlich der Eisenberger Advokat Ernst Gress, der in der 48er Revolution eine progressive Rolle spielte. Kurt Gress ist Verfasser einiger volkskundlicher Schriften. Sein Sterbedatum ist unbekannt; vermutlich ist er nicht sehr alt geworden, denn bereits die Nachauflage 1898 seines Buches wird von einem Fachkollegen besorgt. Die „Holzlandsagen“ erfuhren damals und bis in die jüngste Zeit eine erstaunlich große und weite Verbreitung. Bereits die Erstauflage wurde kurz nach ihrem Erscheinen in bedeutende internationale Bibliotheken aufgenommen; das in der Bibliothek der Harvard Universität/USA befindliche Exemplar der „Holzlandsagen“ trägt das Eingangsdatum vom 14. Oktober 1871. Reprintausgaben der Erstauflage werden heute in aller Welt angeboten, in den USA, in Russland, bei einem indischen Anbieter kann man sie sogar im edlen Ledereinband bestellen. Im 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart erschienen eine Vielzahl bearbeitete und erweiterte Ausgaben, mit der andere Autoren und Autorinnen an die Arbeit von Kurt Gress anknüpften. Einen Platz auf der Wikipedia-Liste wichtiger Persönlichkeiten der Stadt Eisenberg hat der „unbekannte Eisenberger“ dennoch bis heute nicht gefunden. Die Herausgabe des Buches im Jahr 1870 und die nachfolgende starke Verbreitung scheint mir auch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Dass Kurt Gress die Eisenberger Mohrensage an den Anfang seines Buches stellt, ist sicher kein Zufall. Er rückt damit eine Geschichte, in der die positive Identifikationsfigur ein Schwarzer ist, in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das nun fällt in eine Zeit des blühenden Nationalismus in Deutschland, in der der privatwirtschaftliche Kolonialismus bereits in vollem Gang war, dem der staatliche Kolonialismus des deutschen Kaiserreiches alsbald folgte. Da gehörte es eigentlich zum Geist der Zeit, Schwarze so darzustellen, dass es Kolonialisierung rechtfertigte, unterstützte. Was durch die Verbreitung eines rassistischen Menschenbildes damals auch massenhaft geschah. Aber Kress und seine Nachfolger haben es, aus welchen Gründen auch immer, unter diesen Zeitumständen für richtig befunden, die Sage vom ehrenhaften und zu Unrecht verdächtigten schwarzen Diener weit über Eisenberg hinaus zu verbreiten und populär zu machen.
Eine historische Sage?
Ein Kritiker des Eisenberg Mohrenfestes äußerte in der Zeitschrift „Spiegel“ zu dieser Sagengestalt: „Hat es diese Person, den schwarzen Sklaven, wirklich gegeben, dann könnte man ihm einen Namen geben und seine Geschichte aufarbeiten. Und wenn es sie nicht gegeben hat, müsste die Stadt ehrlich sagen: Das war ein Marketingtrick des 18. Jahrhunderts.“ Dieser Ansicht - entweder hat es den Mohren gegeben oder die ganze Sache ist ein Schwindel – liegt meines Erachtens ein handfestes Missverständnis zugrunde. Sagen sind niemals einfache Tatsachensachenberichte. Der Wert einer Sage hängt in keiner Weise davon ab, ob es in Wirklichkeit so gewesen ist. „Das Märchen ist poetischer, die Sage historischer“, hebt Jacob Grimm in seiner Vorrede zu den „Deutschen Sagen“ 1816 einen wichtigen Wesenszug der Volkssage hervor. Viele dieser Geschichten knüpfen zwar an reale Orte, historische Personen oder Ereignisse an und so ihren Wahrheitsanspruch. Das gilt besonders für die umfangreiche Gruppe der historischen Sagen. Aber auch bei ihnen wird die Darstellung durch die Perspektive der jeweiligen Erzähler, deren Erfahrungen und Wünsche, bestimmt. Beim Erzählen und Weitererzählen wird dem geschichtlichen Faktum zumeist „eine Dimension des Mythischen“ verliehen. In jeder Sage finden sich also realhistorische wie auch fiktive und mythische Elemente und Schichten, die oft nicht einfach zu unterscheiden sind. Schauen wir uns die Mohrensage einmal unter diesem Gesichtspunkt an.
Zu den wichtigsten Erzählfiguren der Geschichte gehören der namenlose Eisenberger Graf und dessen Gemahlin aus der Zeit der Kreuzzüge. Real-historische oder fiktiv? Bei Wilfried Warsitzka ist nachzulesen: “…in den mittelalterlichen Urkunden zur Regional- und Stadtgeschichte befindet sich nirgends ein Hinweis, dass eine Grafschaft Eisenberg als Lehen oder selbstständiges Herrschaftsgebiet bestanden haben könnte.“ Eisenberger Grafen hat es also weder in der Kreuzzugszeit noch später gegeben. Jener ein voreiliges Urteil fällende Graf und dessen Gemahlin, die schlampig mit ihrem Schmuck umgeht, sind somit keine historisch verbürgten Gestalten. Es sind vielmehr Erzählfiguren, die jedoch für etwas stehen, das für Eisenberg historisch sehr real ist. Im Laufe der Jahrhunderte übten eine Reihe unterschiedlicher Adelsgeschlechter ihre Herrschaft über die Stadt und ihre Bürger aus, von den Thüringer Landgrafen über die Markgrafen von Meißen, von Herzog Christian von Sachsen-Eisenberg bis zu den Herzögen von Sachsen-Altenburg. Mit ihnen haben die Eisenberger ihre Erfahrungen gemacht, gute und weniger gute, darunter sicher auch die Erfahrung von Justizirrtümern und von ungerechter Behandlung von Untergebenen. Das spiegelt sich in der Sage sehr deutlich wider.
Und wie steht es um die Sagengestalt des Mohren? Historische Belege, dass sich Teilnehmer der Kreuzzüge schwarze Bedienstete aus dem Orient mitgebracht hätten, kenne ich nicht, schon gar nicht für Eisenberg. Insofern ist auch der Mohr als treuer Diener seines Grafen fiktiv, spiegelt jedoch ein wichtiges historisches Phänomen wieder, das jedoch erst mehrere Jahrhunderte später in Erscheinung tritt. Nicht im Mittelalter, sondern vor allem ab dem 17./18. Jahrhundert fand man an den europäischen Fürstenhöfen großen Gefallen daran, sich mit Menschen schwarzer Hautfarbe aus dem Orient, Afrika oder Amerika als Kammerdiener oder Pagen zu umgeben. Das stand im Zusammenhang mit dem sich massiv entwickelnden Kolonialismus der europäischen Mächte, insbesondere Spaniens, Portugals und Hollands. Die dunkelhäutigen Bediensteten wurden offiziell als Kammer- bzw. Hofmohren bezeichnet. Schon Kurfürst August von Sachsen, dem das Amt Eisenberg im 16. Jahrhundert unterstand, beschäftige in Dresden einen Mohren als Torwächter, der gemeinsam mit seiner schwarzen Frau an seinem Hof lebte. Das dürfte damals ziemlich sensationell gewesen sein, und ganz sicher war es auch Eisenberg in aller Munde. Im großen Stil verbreitet sich dieses Phänomen im Zeitalter des Barock. Prächtig gekleidete und ausstaffierte Kammermohren waren damals ein Statussymbol und Prestigeobjekt an den Fürstenhöfen. Oft waren sie als Kriegsbeute oder - schon als Kinder - durch Sklavenhändler nach Europa gelangt. Sie waren aber keine Sklaven; diesen Rechtsstatus gab es im Heiligen Römischen Reich offiziell nicht. Manche von ihnen erhielten eine umfassende Ausbildung, waren als Gesellschafter oder Privatlehrer mit entsprechendem Einkommen tätig. Einige machten sogar bedeutende Karrieren. In dieser Epoche war bekanntlich auch Eisenberg 1677–1692 Sitz eines barocken fürstlichen Hofes unter Herzog Christian von Sachsen-Eisenberg. Allerdings gibt es keinerlei Hinweise, dass zum Eisenberger Hofstaat ein Hofmohr gehört hätte. Schon deshalb, weil Herzog Christians Staatskasse viel zu klamm war. Aber mit dem Leben und Treiben an einem fürstlichen Hof, dem Schicksal von Kammerdienern, Zofen und anderen Bediensteten waren die Eisenberger aufs engste vertraut. Und Gesprächsstoff war sicher auch, was an anderen, reicheren Höfen vor sich ging, in Dresden oder in Wien, wo sich die Fürsten als Bedienstete Mohren hielten. Dass man selbst einen im Wappen hatte, der auch als prächtige Brunnenfigur und Stadtwahrzeichen präsent war, dürfte damals in Eisenberg für besonderes Interesse an diesem Thema gesorgt haben. Auch die Gestalt des sagenhaften Mohren ist also, wenngleich nicht urkundlich belegt, durchaus historisch grundiert und weit mehr als nur eine beliebige Erfindung oder gar ein Schwindel.
Die Mohrensage als Erklärungssage
Über die Entstehung des Mohrenbrunnens heißt es im Gress’schen Sagentext: „Zur ewigen Erinnerung an die berichtete Geschichte stellten später die braven Väter der Stadt dem armen Mohren ein steinernes Standbild auf.“ Da tut sich dem kritischen Leser ein merkwürdiger Widerspruch auf. Angeblich handelt die Geschichte in der Kreuzzugszeit, also im 12./13. Jahrhundert, der Brunnen aber wurde erst im 18. Jahrhundert gebaut. Wie passt das zusammen? Dass die braven Stadtväter für die Fertigstellung des Brunnens fünf Jahrhunderte gebraucht haben könnten, ist eher unwahrscheinlich. Eine Fülle von Sagen sind dem Bedürfnis unserer Altvorderen entsprungen, merkwürdige Naturerscheinungen, Bauwerke, Denkmale usw., auf die man sich im Alltag keinen Reim machen konnte, zu erklären. Wie entstand die Teufelsmauer bei Römhild? Wie kamen die Fürsten von Reuß zu ihrem Namen? Warum versiegten in Plaue die Salzquellen? Solche Erklärungs- bzw. Ursprungssagen erklären den Sachverhalt natürlich nicht wie Wikipedia, sondern auf volkstümlich-poetische Weise, wobei der reale Kern oft durch fantasievolle Ausschmückungen überlagert wird und die Wahrheit mitunter auf dem Kopf steht. Das trifft auch für unseren Mohrensage zu, die als „nachgeschobene“ Erklärungs- bzw. Ursprungssage zur Entstehung des Mohrenbrunnens gedeutet werden kann. Nach meiner Ansicht ist der Mohrenbrunnen von 1730 kaum zur Erinnerung an einen im 12./13. Jahrhundert beinahe zu Unrecht verurteilten Mohren errichtet worden. Vielmehr ist die Sage vermutlich entstanden, als es den Brunnen schon längere Zeit gab, die Erinnerung an die ursprüngliche Bedeutung der Brunnenfigur in der Stadtgesellschaft jedoch verblasst war.
Versetzen wir uns einmal mit etwas Fantasie in die Zeit um 1842/43, als der alte Brunnen gerade seinen heutigen Standort erhalten hatte und damit verstärkt ins Blickfeld der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt war. Die merkwürdige Brunnenfigur ist nun schon über hundert Jahre alt. An ihre Errichtung können sich inzwischen nicht mal die ältesten Eisenberger genau erinnern. Der ursprüngliche Bezug zu einer ungewöhnlichen katholischen Heiligenfigur ist auch den Gebildeten zu dieser Zeit nicht mehr bewusst. Der Durchschnittsbürger geht vermutlich an dem Brunnen vorüber, ohne sich irgendwelche Gedanken zu machen. Anders die Kinder in ihrer lebhaften Neugier, die von ihren Eltern wissen wollen, was das denn für ein „komischer schwarzer Mann“ auf dem Brunnen sei. Anders auch auswärtige Reisende und Fuhrleute, welche die Figur zum ersten Mal sehen und beim Postkutscher oder Gastwirt nach einer Erklärung fragen. Und wenn nur lange genug gefragt wird, findet der Volksmund schließlich auch eine Antwort. Unter solchen Umständen sind in „vorwissenschaftlicher Zeit“ häufig Sagen entstanden, Erklärungssagen, in denen unterschiedliche Elemente, historische und fiktionale, zu einer neuen Geschichte verschmelzen. Mitunter sind dabei auch Wandersagen im Spiel, analoge Geschichten, die von einem anderen Ort auf den eigenen übertragen werden. Und wenn die entstandene Geschichte nicht nur erklärt, sondern überdies noch spannend und emotional berührend ist, sind die Chancen groß, dass sie rasch von Mund zu Mund weitererzählt und sich schließlich im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Wie oben erwähnt, liegt die konkrete Entstehung einer Sage im Prozess der oralen Kommunikation meist im dunklen. Aber so ähnlich könnte es in unserem Fall gewesen sein. Zieht man die erwähnten Chroniken heran, ist eine Entstehung der Sage in Eisenberg nach 1758 und vor 1843 anzunehmen, wobei sie ihre Ausprägung in der heutigen Gestalt erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert erfuhr.
Die Mohrensage als Rechtssage
In Geschichten wie unserer Mohrensage sind nicht nur historische Gegebenheiten eingeflossen, sondern auch fundamentale Wertvorstellungen. „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit…“ lasen die Menschen in der Bibel. Aber die Wirklichkeit war mitunter eine andere. Oft genug mussten die „kleinen Leute“ dazumal Willkür und Unrecht erleiden. Genau damit setzen sich viele Volkssagen auseinander, die typologisch zu den Rechtssagen gezählt werden können. Das Motiv des „zu Unrecht bestraften Dieners“ begegnet uns nicht nur in der Mohrensage, sondern beispielsweise auch in der vom „Merseburger Raben“. Sie erzählt vom Schicksal eines treuen (weißen) Dieners des Merseburger Bischofs von Trotha. Als der Bischof einmal einen wertvollen Ring vermisste, geriet der Diener in Verdacht. Zur Strafe ließ ihn der Bischof hinrichten. Doch einige Zeit später fand man den Ring im Nest eines Raben. Zur Erinnerung ließ der Bischof daraufhin den Raben in sein Wappen aufnehmen. Und zur Warnung vor leichtfertig gefällten Urteilen wird auf dem Hof des Merseburger Schlosses bis auf den heutigen Tag in einer Voliere ein Rabenpaar gehalten. Sagen dieses Typs schildern nicht nur Willkür und Unrecht, sondern artikulieren zugleich die Sehnsucht des Volkes nach Gerechtigkeit, danach, dass am Ende das Gute siegen möge. Auch in unserer Mohrensage ist das zentrale Thema letztendlich die Gerechtigkeit, die Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Darin liegt meines Erachtens ihre wichtigste Botschaft, ihr ethischer Kern, und das macht ihren zeitlosen Wert aus. Es ist eine einfache Geschichte, die jedes Kindergartenkind versteht - und zugleich ein starkes Plädoyer für Gerechtigkeit – wahrer Gerechtigkeit für alle, ob schwarz oder weiß.
Die Sage als identitätsstiftender Faktor
Sagenüberlieferungen sind Teil unseres kulturellen Erbes und spielen vielerorts eine wichtige Rolle als Faktoren lokaler und regionaler Identität. Das gilt etwa in der Thüringer Rhön für die Sagen um den legendären Räuber Rhönpaulus. Die Rhönschnitzer schnitzen ihn, das örtliche Museum bietet eine Dauerausstellung. Wanderwege und Gasthäuser tragen seinen Namen, Denkmäler, Bücher und Gemälde halten die Erinnerung an ihn wach. Vor wenigen Jahren zog die Sagengestalt 16.000 Zuschauer als „cooler Held“ eines Musicals in seinen Bann. Oder die sagenhafte Nixe Slusia in der südthüringischen Stadt Schleusingen. Tennisclub, Frauenchor und Karnevalsclub tragen ihren Namen. Ein Schleusinger Verein vergibt für kulturelle Leistungen den Slusizer-Preis. Das Denkmal der Sagengestalt ist von keinem geringeren als von Altbundespräsident Herzog eingeweiht worden. Eine ähnliche Rolle spielen Sagenüberlieferungen in zahlreichen anderen Orten und Regionen. Sie tragen dazu bei, Heimatgefühl zu bewahren und zu fördern, sie prägen das Bild dessen mit, was man als Heimat empfindet, geben der heimatlichen Identität eine historisch-mythische Grundierung.
Eine solche positive Rolle spielt die Mohrensage auch für die Identität von Eisenberg. Ohne Frage ist es ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Erbes der Stadt. Über den Umgang mit derlei Erbschaften hat der Weimarer Dichterfürst einst den bekannten Ratschlag gegeben: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“ Erbe muss also immer wieder neu erworben werden, wenn es nicht verstauben soll. Das schließt in unserem Fall die lebendige Auseinandersetzung um die Herkunft, die Interpretation, den ethischen Wert der Sage, um ihre Nutzung für die örtlichen Traditionspflege, für Stadtmarketing und Produktwerbung ein. „Sagenstreit“ gab und gibt es übrigens auch anderenorts - so tobte um die Schleusinger Nixe ein jahrelanger erbitterter Streit, der sogar Gegenstand eines Romans wurde. Sagen sind Teil einer lebendigen Kultur, wenn sie erzählt und weitererzählt werden - eine Sage ist übrigens niemals zu Ende geschrieben. Und ebenso wenig sind Namen von Festen in Stein gemeißelt. Wäre nicht Mohrenbrunnenfest eine viel treffendere Bezeichnung? Stehe ich vor dem berühmten Eisenberger Brunnen, kommt mir immer folgendes Wort von Urban Fink in den Sinn: „Es lohnt sich, sowohl Heiligenstatuen wie auch umstrittene Denkmäler auszuhalten, weil die damit verbundene positive oder negative Geschichte zum Nachdenken anregt. Sie vorschnell wegzustellen oder abzureißen wäre weitaus gefährlicher und kurzsichtiger. Ein säkularer Bildersturm bringt uns nicht weiter; wir brauchen Rosen und Dornen.“
www.koloniales-erbe-thueringen.de/d[...] (letzter Zugriff am 30.12.2024)
Vgl. Warsitzka, Wilfried: Bürger unterm Mohrenwappen, Jena, Quedlinburg, Plauen 2010, S. 54
Ebenda, S. 54
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Suckale-Redlefsen, Guda: Mauritius: Der heilige Mohr /The Black Saint Maurice, Houston, München 1987
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Warsitzka, a.a.O., S. 174
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Habel, Hubertus: Im Zeichen von Veste & „Mohr“: Städtische Symbole und Geschichtskultur
am Beispiel Coburgs, Inauguraldissertation, Marburg 2009
ebenda, S. 85 f.
www.coburg.de/coburg-erleben/stadt-[...] (letzter Zugriff am 4.1.2025)
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Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band 14, Leipzig 1893, Sp. 1647
Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur, 8.verbesserte und erweiterte Auflage, Stuttgart 2001, zit. nach: de.wikipedia.org/wiki/Sage (letzter Zugriff am 6.1.2025)
Gschwend Johann David: Eisenbergische Stadt- und Land-Chronika, Walther, Eisenberg 1758, S.196 f.
Back, August Leberecht, a.a.O., S. 283 ff.
Sachsengrün. Culturgeschichtliche Zeitschrift aus sämmtlichen Landen Sächsischen Stammes, 1, Bd. 1, Dresden 1861, S.58
In der erwähnten Zeitschrift „Sachsengrün“ von 1861 taucht auch jene Geschichte auf, in der ein treuer Mohr Markgraf Dietrich dem Bedrängten mehrfach das Leben rettet, zunächst im Heiligen Land, indem er ihn in einem Weinfass vor seinen Feinden verbirgt, später dann, wie schon erwähnt, verhindert er in der Eisenberg Burg einen Mordanschlag auf ihn. Die Geschichte ist eine Erfindung von August Leberecht Back, der in seiner Chronik im Zusammenhang mit der oben erwähnten Grafensage die Überlegung anstellt, ob nicht vielleicht auch Markgraf Dietrich der Bedrängte einen treuen Mohren an seiner Seite gehabt haben könnte. Dies wurde dann in „Sachsengrün“ zu einer Sage umgedichtet.
Gress, Kurt: Holzlandsagen, Sagen Märchen und Geschichten aus den Vorbergen des Thüringer Waldes, Leipzig, 1870
Ebenda S. V
de.wikisource.org/wiki/Kurt_Greß (letzter Zugriff am 8.1.2025)
Warsitzka, Wilfried, a.a.O., S.130
U.a. von Kurt Greß, Viktor Lommer, F. Bernhard Störzner, Paul Heinecke, Gerhard Ost, Gertrud Fischer, Ludwig Ehrhardt, Michael Köhler
de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kolonien (letzter Zugriff am 17.1.2025)
Wolf, Thembi (2019): Eisenberg feiert bald ein „Mohrenfest“, Konrad will das verhindern, SPIEGEL, 22.5.2019, www.bento.de/politik/eisenberg-feie[...] (letzter Zugriff am 8.1.2025)
Petzoldt, Leander: Einführung in die Sagenforschung, 3.Auflage, Stuttgart 2002, S.136
Warsitzka, Wilfried, a.a.O. S. 175
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ebenda
ebenda
Heinecke, Paul und Ost, Gerhard: Holzlandsagen, Jena 1968, S.12
Über die Entstehung von Sagen in der Gegenwart vgl. Brednich, Rolf Wilhelm: Die Spinne in der Yucca-Palme, sagenhafte Geschichten von heute, München 1990
Hohberg, Rainer: Sagenüberlieferungen als prägende Faktoren lokaler und regionaler Identität in Thüringen, Jahrbuch des Museums Reichenfels-Hohenleuben 2012, Nr.57, S.11 ff.
www.kath.ch/newsd/mauritius-lebt-in[...] Zugriff am 12.1.2025)
Mail vom 6.12.2023 an die Redaktion Hintergrund und Recherche des MDR im Zusammenhang mit meiner Nominierung für die Wahl zum „Thüringer des Jahres“ 2024. Es sei angemerkt, dass ich mich für diese Wahl nicht beworben habe, sondern durch ein Bürgervotum nominiert wurde.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie ich Ihrer Mail entnehme, haben nun interessierte „Zuschauer“ eine verstaubte Stasikeule aus dem Schrank geholt, um damit eine Wahl zu beeinflussen, bei der es eigentlich um ehrenamtliches Engagement für Thüringen im Jahre 2023 geht. Aus Erfahrung weiß ich, dass es bei solchen Interventionen nur selten um historische Aufklärung geht, sehr oft aber Missgunst auf die Erfolge anderer im Spiel ist….
Zur Historie: In der Tat hatte ich mich während meiner Leipziger Studentenzeit davon überzeugen lassen, einige Zeit für die in der DDR für die Auslandsaufklärung zuständige Abteilung des Mielke-Ministeriums als „Kundschafter des Friedens“, wie das euphemistisch umschrieben wurde, tätig zu sein.
Das ist keineswegs ein Geheimnis, ich selbst und auch Baldur Haase in „Mielke kontra Pegasus“ haben darüber geschrieben, in meinem Wikipedia-Eintrag wird mit einem Link darauf verwiesen, meiner Wahl in den Gemeinderat meines Heimatortes ging eine öffentliche Diskussion und eine Rücksprache mit dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen voraus, im Schriftstellerverband und bei meiner Wahl in den Vorstand des Friedrich-Bödecker-Kreises habe ich Stellung bezogen, es wurde besprochen und meine Position akzeptiert.
Beim Gespräch mit dem damaligen Chef der Erfurter Stasiunterlagenbehörde, Herrn Udo Haschke, und dem Gemeinderat ging es übrigens konkret um die Frage: Darf sich Hohberg unter den gegebenen biografischen Umständen zur Wahl für den Gemeinderat stellen? Herrn Haschkes Antwort lautete, dass nichts dagegenspreche, da die Entscheidung darüber letztlich die Bürger bei der Wahl fällen würden, was sie auch getan haben. Inzwischen sind viele Jahre vergangen und Sie verstehen sicher meine Verwunderung und Enttäuschung darüber, was nun im Jahre 2023 beim Vooting zu einen Ehrenamtspreis vonstattengeht.
PS: Falls zu Ihren Informationsgrundlagen ein vor längerem in der Zeitschrift Gerbergasse publizierter Beitrag von H. Voigt gehört, muss ich darauf hinweisen, dass dieser voller Entstellungen und auch Lügen ist, damals vermutlich aus persönlichem Hass mir gegenüber geschrieben. Ich habe nach dem Erscheinen des Beitrages eine umfangreiche Gegendarstellung verfasst, die von der Zeitschrift allerdings nicht veröffentlicht wurde, aber meines Wissens im Netz verfügbar ist.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Hohberg
An die Redaktion der Zeitschrift „Gerbergasse“
Dieser Brief vom 4. November 2010 ist eine Gegendarstellung zu einem in der „Gerbergasse“ 3/2010 erschienenen Beitrag von H. Voigt. Ihre Veröffentlichung wurde von der Redaktion mit der Begründung abgelehnt, dass ich zu den Tätern gehören würde... Merkwürde Auffassung von Pressefreiheit...
Sehr geehrter Herr Pietzsch,
wahrscheinlich müsste ich Heinz Voigt zu seinem in der „Gerbergasse“ 3/2010 erschienenen Beitrag über mich einige Zeilen schreiben, aber es erscheint mir derzeit sinnvoller, meine Gedanken Ihnen und Ihrer Redaktion wie auch der Öffentlichkeit zu übermitteln. Es ist eine Tatsache, dass ich mich als Student in Leipzig während der 70er Jahre habe überzeugen lassen, die sog. Auslandsaufklärung des MfS zu unterstützen und dies bei einigen Reisen in die Bundesrepublik auch getan habe. Obwohl die Eisenacher Stasi-Kreisdienststelle im Frühjahr 1968 wegen einer von mir durchgeführten Unterschriftensammlung gegen einen vormilitärischen Hans- Beimler- Wettkampf gegen mich ermittelt hatte, ich also über einige negative Erfahrungen verfügte, waren die Argumente für mich damals zunächst stärker. Es war bekanntlich die Zeit extremer Hochrüstung auf beiden Seiten; die Notwendigkeit, im Westen „Partner im Kampf für den Frieden“ zu finden, wie es so schön pathetisch hieß, für mich nachvollziehbar. Allerdings verstärkten sich im Laufe der Zeit meine Zweifel. Denn zum einen merkte ich, dass ich für James-Bond- Tätigkeiten aller Art persönlich ziemlich ungeeignet war, zum anderen waren viele Dinge in der Bundesrepublik ganz anders, als ich vermutet hatte. Voigt stellt in seinem Beitrag zwar fest, dass keine meiner Reisen den eigentlich anvisierten Erfolg hatte, durch mich also keine Kontakte zu möglichen „Partnern“ hergestellt worden sind. Leider versäumt er aber, wie so oft in seinem Text, dies zu hinterfragen – und dann auch Tatsachen, die nicht in sein vorgefasstes Bild passen, in die Darstellung einfließen zu lassen.
Zustimmen muss ich seiner skeptischen Frage, was das alles gebracht habe. Durch ziemlich schmerzhafte Erfahrungen bedingt, habe ich inzwischen allergrößte Zweifel am Sinn jeglicher geheimdienstlichen Tätigkeit, an den immensen Kosten, die dafür noch heute weltweit aufgebracht werden. Trotz riesigen Aufwandes haben die Geheimdienste ja nicht einmal das Drama vom 11. September verhindern können. Leider verfügte ich über diese Einsichten damals noch nicht – erst hinterher ist man bekanntlich klüger. Auch dass parallel zu meinen Reisen gen West in der Zeit bis 1989 rund 10.000 Spione des Bundesnachrichtendienstes zur Aufklärung der DDR gen Ost unterwegs waren, wie Historiker jetzt festgestellt haben, relativiert meine Zweifel nicht, sondern unterstreicht die Absurdität mancher historischer Gegebenheiten.
Zu einer umfassenden Aufklärung dieser wichtigen Vorgänge der 70er und 80er Jahre trägt Heinz Voigt mit seinem Beitrag m. E. jedoch kaum bei. Ihm scheint mehr daran gelegen zu sein, eine Enthüllungsstory zu präsentieren. Dazu teilt er die Welt in schwarz und weiß, in Freund und Feind, und macht die als Feind erkannte Zielpersonen einfach nieder. Aber über den Ton dieses Beitrages muss hier nicht viel gesagt werden. Der unvoreingenommene Leser wird sich seinen Reim darauf machen. Was der Leser indes übersehen könnte, ist der Umgang des Autors mit Tatsachen und Dokumenten, der Mangel an solider Recherche. Kaum zu glauben, dass ein Journalist über die Biografie einer lebenden Person schreibt, ohne sich mit dieser Person auch nur einmal unterhalten zu haben. Ohne deren Sicht zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Und das, obwohl Herr Voigt und ich uns in Jena oft genug über den Weg laufen.
Stattdessen konstruiert er aus Aktenzitaten ein möglichst negatives, einseitiges Bild. Allein den schriftlichen Hinterlassenschaften der Stasioffiziere scheint er zu vertrauen. Kein ernstzunehmender Mensch käme darauf, eine Einschätzung etwa der SED-Kreisleitung Jena aus dem Jahre 1985 für eine reale Einschätzung der damaligen Jenaer Situation zu halten. Oder das, was in Beurteilungen und Auszeichnungsbegründungen aus dieser Zeit an „politischer Lyrik“ enthalten ist, wörtlich zu nehmen. Herr Voigt aber übernimmt derlei, wenn es in seine Konstruktion passt, im Maßstab eins zu eins.
Und wo Akten nichts hergeben, scheut er vor Verdrehungen und Erfindungen nicht zurück. Etwa wenn es um meine Biografie geht. So schreibt er über mein Debüt, ein 1975 im Gebrüder Knabe Verlag Weimar erschienenes Kinderbuch über Johann Sebastian Bach, die SED-Kulturpolitiker des Bezirkes Erfurt seien davon „derart begeistert“ gewesen, dass dies eine Delegierung an das Leipziger Literaturinstitut nach sich gezogen habe (S. 28). Das sind gleich zwei Erfindungen, man könnte auch Lügen sagen, in einem Satz. Denn in Wirklichkeit hat sich niemals ein SED-Kulturpolitiker des Bezirkes Erfurt zu meinem Erstlingswerk geäußert. Und eine Delegierung an das Literaturinstitut wurde mir nie erteilt – im Gegenteil: das barsche Ablehnungsschreiben der FDJ-Bezirksleitung liegt bei meinen Akten. Stellt sich die Frage, ob der Autor oberflächlich recherchiert hat oder ob meine Biografie absichtlich manipuliert wird? „Obwohl Rainer Hohberg bis auf sein Erstlingswerk und gelegentliche Aufsätze nichts Weltbewegendes veröffentlichte, wurde er zunächst Kandidat, dann Mitglied des Schriftstellerverbandes …“, geht es dann weiter (S. 30). Damit will er wohl suggerieren, ich sei ohne hinreichende Leistungen, gar mit Protektion, in diesen tollen Verband geraten. Auch das ist schlicht aus den Fingern gesogen. In Wirklichkeit hatte ich, als ich 1989 (!) Mitglied des Schriftstellerverbandes wurde, drei Bücher sowie sieben Rundfunkhörspiele veröffentlicht. Mein noch immer hörenswertes Werk „Die Mutprobe“ (über eine Jenaer Episode aus dem Jahr 1933) wurde dank Tausender Hörerstimmer zum besten DDR-Kinderhörspiel 1985 gekürt. Diese Arbeiten sind jedermann zugänglich, sind in der Deutschen Nationalbibliografie und vielen Nachschlagewerken - zusammen mit meinen 15 neu entstandenen Büchern - verzeichnet. Nur Herr Voigt weiß davon nichts.
Um seinem Beitrag den Anstrich einer Enthüllung zu geben, behauptet der Autor im selben Stil, dass die von ihm dargestellten Vorgänge der Jahre nach 1977 bislang nie - oder nicht ausreichend - öffentlich benannt worden seien (S. 32). Auch das ist unzutreffend. Selbst mein sog. Tarnname samt allen Aktennummern ist beispielsweise bereits in Baldur Haases in Thüringen bekanntem Buch „Mielke kontra Pegasus“ von 2000 seriös dokumentiert. Diese Veröffentlichung wurde in den Berufsverbänden, literarischen Vereinen und der Öffentlichkeit in den zurückliegenden Jahren intensiv diskutiert und bewertet.
Reichlich öffentliche Diskussionen gab es auch bei meiner Wahl in den Hummelshainer Gemeinderat 1999. Im Vorfeld habe ich nicht nur die Wähler in Hummelshain über meine Biografie informiert, sondern es gab auf meine Initiative hin auch ein ausführliches Gespräch mit dem damaligen Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen. Das fand im Beisein eines Mitglieds des Gemeinderates in Erfurt statt. Herr Haschke empfahl mir dabei, mich dieser Wahl zu stellen. Das geschah auch, und ich war dann mehrere Jahre aktiv im Gemeinderat tätig.
Ebenso habe ich mich als Autor mit diesen wichtigen und kritischen Punkten meiner Biografie literarisch auseinandergesetzt, etwa in jener Erzählung, in der die inneren Beweggründe, die einen jungen Menschen in Zeiten des Kalten Krieges in das Spinnennetz der Geheimdienste geraten lassen, im Mittelpunkt stehen, seine Träume, seine Zweifel, sein Scheitern, seine Traumata… Die entsprechende Arbeit ist längst publiziert, ist im Buchhandel und in Bibliotheken durchaus zu finden (ISBN: 3-86160-303-9). Ob sie Herr Voigt gelesen hat?
Was mich ebenfalls berührt, ist der Versuch, mir mit vagen Andeutungen denunziatorisches Verhalten zu unterstellen. Auch die lächerlich-spektakuläre Überschrift seines Artikels geht ja in diese Richtung. Dabei liegen die Tatsachen auf der Hand. Herr Voigt und ich waren in der DDR-Zeit ja mehrere Jahre Kollegen. Ein Spitzel oder Denunziant hätte über unsere damaligen politischen Diskussionen und über Herrn Voigt selbst wahrlich stapelweise Papier über „ideologische Mängel“, „feindliche Aktivitäten“ und ähnliches Zeugs beschmieren und der Obrigkeit zuführen können. Niemand weiß besser als er, dass ich dergleichen nicht getan habe. - So hinterlässt der Artikel alles in allem den Eindruck, dass sein Sinn nicht darin besteht, wichtige historische Vorgänge zu erhellen, sondern dass vielmehr eine dem Autor missliebige Person öffentlich herabwürdigt werden soll. Missliebig ist man ja manchem Zeitgenossen schon dadurch, einigermaßen erfolgreich seine Arbeit zu tun. Aber welche Beweggründe der Autor wirklich hat, weiß wohl nur er.
Sehr geehrter Herr Pietzsch,
Licht in Vorgänge aus der Zeit des Kalten Krieges bringen zu wollen, in dem man im Stil des Kalten Krieges darüber berichtet, kann nach meiner Meinung nicht mehr funktionieren. Zumindest dies beweist Heinz Voigt mit seinem Beitrag. Darüber einmal zu diskutieren, dürfte auch für Sie und die Redaktion der „Gerbergasse“ interessant sein und ihre Arbeit befördern. Bitte geben Sie mir die Möglichkeit, mich dazu in Ihrer Zeitschrift in einem Leserbrief oder einem Beitrag ausführlich äußern zu können; es kann sicher nicht in ihrem Interesse liegen, eine Reihe falscher atsachenbehauptungen im Raum stehen zu lassen. Oder veröffentlichen Sie als literarischen Beitrag zur Diskussion meine Erzählung „Trauriges Märchen vom unsichtbaren Ulf“ von 1999. Ich bin gern bereit, sie mit einem Kommentar aus der Sicht des Jahres 2010 zu versehen.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Hohberg 4. November 2010